- Physiknobelpreis 1905: Philipp Eduard Anton Lenard
- Physiknobelpreis 1905: Philipp Eduard Anton LenardDer deutsche Strahlenphysiker wurde »für seine Arbeiten über Kathodenstrahlen« mit dem Nobelpreis ausgezeichnet.Philipp Eduard Anton Lenard, * Pressburg (heute Bratislava, Slowakei) 7. 6. 1862, ✝ Messelhausen (Baden) 20. 5. 1947; 1886 Promotion in Heidelberg, Studienaufenthalt in England, Universität Breslau, 1891-94 in Bonn, 1898-1907 Ordinarius in Kiel, ab 1907 Direktor des physikalischen und radiologischen Instituts der Universität Heidelberg.Würdigung der preisgekrönten LeistungPhilipp von Lenard wurde als Sohn eines Weinhändlers in Pressburg geboren und begann 1883 sein Physikstudium in Heidelberg, das er vor allem wegen des deutschen Chemikers Robert Bunsen als Studienort wählte. Dort promovierte er bei dem deutschen Physiker Georg Quincke »Über die Schwingungen fallender Tropfen«, eine Arbeit, die der deutsche Physiker und Physiologe Hermann von Helmholtz angeregt hatte.Kathodenstrahlen. ..Lenard kam 1891 als Assistent nach Bonn zu Heinrich Hertz, der durch die Entdeckung der elektromagnetischen Wellen bekannt geworden war. Hertz hatte bereits beobachtet, dass die 1869 vom deutschen Physiker und Chemiker Johann Wilhelm Hittorf entdeckten Kathodenstrahlen dünne Metallfolien durchdringen konnten. Dieser Anregung folgend, entwickelte Lenard das so genannte Lenard-Fenster, ein hauchdünnes Aluminiumblättchen, durch das die Kathodenstrahlen aus der Röhre, in der sie erzeugt wurden, heraustreten konnten. Dies ermöglichte es, die Strahlen, die später als Elektronen erkannt wurden, außerhalb der Röhre zu untersuchen, ohne die im Innern herrschenden störenden Entladungsvorgänge.... und verpasste ChancenDamit war ihm ein großer experimenteller Fortschritt gelungen, der weithin Beachtung fand. Absorptionsversuche mit verschiedenen Materialien ließen Lenard erkennen, dass es sich bei den Kathodenstrahlen um negativ geladene Partikel handeln müsse, eine Entdeckung, die etwa gleichzeitig auch von Joseph John Thomson (Nobelpreis 1906), dem deutschen Physiker Wilhelm Wien und dem französischen Physiker Jean Perrin gemacht wurde. Thomson war dann der Erste, der den Quotienten aus Ladung und Masse dieser Partikel bestimmte und als eigentlicher Entdecker des Elektrons galt. Aber noch eine zweite bedeutende Entdeckung hatte Lenard knapp verpasst: Im November 1895 hatte Wilhelm Röntgen (Nobelpreis 1901) die nach ihm benannten hochfrequenten Strahlen entdeckt. Lenard hatte Röntgen bezüglich der Konstruktion von Entladungsröhren beraten und ihm sogar eine besonders zuverlässige Röhre geschickt; nun war er außerordentlich enttäuscht, dass Röntgen ihn in seiner Veröffentlichung nicht entsprechend würdigte. Auch war er der Ansicht, dass er diese Entdeckung kurze Zeit später selbst gemacht hätte. Fortan sprach er in seinen Vorlesungen nie von »Röntgenstrahlen«, sondern immer nur von »Hochfrequenzstrahlen«.Weitere Untersuchungen an Kathodenstrahlen führten Lenard zu der Ansicht, dass der größte Teil der Atome leer sei. Er entwickelte das Dynamiden-Modell des Atoms, in dem lediglich Kraftzentren von sehr geringer räumlicher Ausdehnung die auf diese Materie geschossenen Elektronen in ihrer Bahn beeinflussen können. Dieses frühe Atommodell war ein wichtiger Vorläufer für die in den folgenden Jahren vor allem von Lord Ernest Rutherford (Nobelpreis 1908), Niels Bohr (Nobelpreis 1922) und dem deutschen Physiker Arnold Sommerfeld entwickelten Atommodelle. 1905 erhielt Lenard für seine Arbeiten über Kathodenstrahlen den Nobelpreis für Physik.Neben weiteren Experimenten mit Kathodenstrahlen machte Lenard an der Universität in Kiel auch bahnbrechende Untersuchungen zum lichtelektrischen Effekt, der 1887 von Hertz entdeckt worden war. Lenard stellte fest, dass bei Bestrahlung mit Licht in der Photozelle langsame Elektronen freigesetzt werden und dass mit steigender Lichtintensität die Anzahl der freigesetzten Elektronen zunimmt, deren Energie aber nur von der Wellenlänge des Lichts abhängt. Eine theoretische Deutung fand wenig später Albert Einstein (Nobelpreis 1921) mit der Lichtquantenhypothese.Ein weiteres wichtiges Arbeitsthema Lenards war die Phosphoreszenz. Schon als Schüler hatte er zusammen mit seinem Lehrer Virgil Klatt begonnen, dieses Phänomen zu erforschen. Selbst als Lenard schon Assistent in Heidelberg geworden war, arbeiteten sie weiter auf diesem Gebiet, während des Semesters getrennt und in den Semesterferien gemeinsam in Pressburg. 1889 veröffentlichten sie eine Arbeit, in der sie zeigen konnten, dass geringe Beimischungen von Kupfer, Wismut oder Mangan für die Phosphoreszenz der Erdalkalisulfide verantwortlich sind.Zu Beginn des Ersten Weltkriegs trat Lenards ausgeprägter, vor allem gegen England gerichteter, Nationalismus hervor. Hinzu kam sein starker Antisemitismus, der, gepaart mit einer Ablehnung der seit der Jahrhundertwende immer wichtiger werdenden theoretischen Physik, zu einer heftigen Bekämpfung der von Einstein begründeten Relativitätstheorie führte. Zu einer offenen Konfrontation kam es während der Naturforscherversammlung 1920 in Bad Nauheim. Dies geschah zu einer Zeit, als Lenard auch die »Arbeitsgemeinschaft deutscher Naturforscher zur Erhaltung reiner Wissenschaft« unterstützte, die lautstark und offen antisemitisch gegen Einstein hetzte.»Deutsche Physik«Diese Aktivitäten konnten in den 1920er-Jahren von seinen Fachkollegen zwar noch als Spinnereien belächelt werden. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten, denen Lenard gedanklich nahe stand, wurden sie allerdings zu einer konkreten Bedrohung. Lenard nutzte seine Kontakte zu Hitler, um sich ihm als Berater in sämtlichen naturwissenschaftlichen Berufungsangelegenheiten anzudienen.In Johannes Stark (Nobelpreis 1919) fand er einen prominenten Mitstreiter, mit dem er eine »Deutsche Physik« zu etablieren versuchte. Diese beruhte auf einer fast völligen Ablehnung der theoretischen Physik, die mit jüdischer Physik gleichgesetzt wurde, und einer Betonung der Experimentalphysik. In dem Vorwort zu seinem vierbändigen Lehrbuch (1936/37) »Deutsche Physik« gab er selbst folgende Definition: »Deutsche Physik?, wird man fragen. — Ich hätte auch arische Physik oder Physik der nordisch gearteten Menschen sagen können, Physik der Wirklichkeits-Ergründer, der Wahrheit-Suchenden, Physik derjenigen, die Naturforschung begründet haben.«Es gelang den beiden Physikern zwar, einige ihrer nicht entsprechend qualifizierten Anhänger auf bedeutenden Lehrstühlen unterzubringen. Eine völlige Unterdrückung der theoretischen Physik konnte ihnen allerdings, vor allem im Hinblick auf die (waffen-)technischen Erfordernisse des Zweiten Weltkriegs, nicht gelingen. Nach Kriegsende blieb Lenard aufgrund seines Alters unbehelligt.R. Hahn
Universal-Lexikon. 2012.